Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland?

Kölner Sportrede 2023

 

Stephan Grünewald sieht die Olympischen und Paralympischen Spiele als Chance für Deutschland, dem lähmenden Gefühl der Resignation und des Rückzugs einen Impuls für ein positives Gemeinschaftserlebnis entgegenzusetzen.

So zumindest das optimistische Fazit des diesjährigen Impulsgebers im Kölner Rathaus zur Frage, ob sich eine deutsche Stadt oder Region erneut für die Austragung Olympischer Spiele bewerben sollte.

Nach der coronabedingten Pause setzten die Stadt Köln und die Führungs-Akademie des Deutschen Olympischen Sportbundes ihre seit 2006 stattfindende Veranstaltungsreihe der Kölner Sportreden fort.

Oberbürgermeisterin Reker: "Köln liebt den Sport"
„Köln“, so die Oberbürgermeisterin, „bezeichnet sich nicht nur als Sportstadt, sie ist es auch. Köln liebt den Sport, hat eine lange Tradition in der Durchführung großer Veranstaltungen und legt dabei besonderen Wert auf seinen verbindenden Charakter. Sport hat eine große integrative Kraft, fördert Leistungsbereitschaft und Wettkampf, stärkt den Gemeinsinn und ist damit auch ein Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch deshalb wird Köln die Bemühungen um eine Bewerbung zur Ausrichtung Olympischer Spiele energisch weiterverfolgen.“
Staatssekretärin Milz für verbesserten Zugang
Nahtlos an die nachdrückliche inhaltliche Positionierung Kölns als Stadt des Sports anknüpfend, betonte die Staatssekretärin für Sport und Ehrenamt der Düsseldorfer Staatskanzlei, Andrea Milz, dass man dies ganz uneingeschränkt auf das ganze Land, auf große Städte ebenso wie auch auf kleinere Austragungsorte sportlicher Veranstaltungen erweitern könne. Dies zeige allein schon ein Blick auf die zahlreichen sportlichen Großveranstaltungen, die gerade in diesem Jahr in NRW stattgefunden hätten. Das Land werde sich auch weiterhin dafür einsetzen, solche Veranstaltungen im Land zu realisieren. Zum einen gehe es darum, gerade jungen Menschen damit eine Möglichkeit zu bieten, die Faszination des Sports und unterschiedlicher Sportarten hautnah zu erleben und eigenes Interesse zu entwickeln, zum anderen könne man daraus durchaus berechtigt ableiten, dass Nordrhein-Westfalen für eine Bewerbung um Paralympische und Olympische Spiele geeignet ist.
Krisenzeiten als Antrieb für neue Träume
Oliver Stegemann, Vorstandsvorsitzender der Führungs-Akademie, erinnerte zunächst an die coronabedingte Zeit ohne Kölner Sportrede, an die großen Herausforderungen, mit denen sich der Sport auf allen Ebenen auseinanderzusetzen hatte. Er richtete seinen Dank nicht zuletzt auch an die Stadt Köln und das Land NRW, die mit ihrer Unterstützung wesentlich mit dazu beigetragen hätten, dass die Herausforderungen mit engagiertem Handeln und kreativen Lösungen erfolgreich hätten gemeistert werden können.
In seiner Ankündigung des Impulsgebers Stephan Grünewald bekannte sich der FA-Vorsitzende als Fan seiner Bücher und bezog sich insbesondere auf das 2013 veröffentlichte „Die erschöpfte Gesellschaft: Warum Deutschland neu träumen muss“. Wenn Deutschland in Krisenzeiten auch die Fähigkeit habe, Träume in Schöpferkraft zu verwandeln und aus der Kraft zu träumen, zu zweifeln und quer zu denken, Kreativität, wissenschaftliche Potenz und Erfindungsreichtum zu entwickeln, dann könne es doch auch sein, dass Grünewald in der aktuellen Diskussion um eine mögliche Olympiabewerbung ein solches Potenzial erkennen könne.
Das Ringen um Erfolg und die Suche nach Einheit
Wer Olympische und Paralympische Spiele nach Deutschland holen will, muss, so Stephan Grünewald, Dipl.-Psychologe, Bestsellerautor und Mitbegründer des Markt- und Medienforschungsinstituts rheingold, in der Lage sein, das Feuer mitreißender Begeisterung zu entfachen. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit, die gekennzeichnet zu sein scheint durch eine wachsende Diskrepanz zwischen privater und gesellschaftlicher Zuversicht. Grünewald nahm in seinem Impulsbeitrag Bezug auf seine kürzlich veröffentlichte Zukunftsstudie: Während sich viele im Privaten einiges zutrauen, an ein Gelingen glauben, fehlt dieser optimistische Blick, wenn es darum geht, ob wir als Gesellschaft mit den Krisen und Herausforderungen der Zeit umgehen und sie lösen können. Im Ergebnis folgen daraus eine resignative Grundstimmung und der Rückzug in das Sicherheit ausstrahlende Schneckenhaus des Privaten. Hinzu kommt, dass sich auch das soziale Umfeld verengt. Man trifft sich eher mit Gleichgesinnten, meidet Andersdenkende und scheut damit die Auseinandersetzung mit anderen Positionen. In dieser Befindlichkeit kann die ungeheure Kraft, die aus der privaten Zuversicht eigentlich erwachsen könnte, nicht nach außen, nicht in die Gesellschaft transformiert werden.
Genau hier könnten Olympische Spiele ein wichtiger Faktor sein, um aus dem negativen Sog herauszukommen. „Das Erlebnis Olympische Spiele beschreiben die von uns befragten Menschen als ein großes, Kraft gebendes Erlebnis voller Emotionen mit vielen unterschiedlichen Facetten von Freude, Spannung, Dramatik, aber auch von Gemeinsamkeit und Wir-Gefühl. Olympische Spiele haben eigentlich zwei Seiten – das Ringen um Erfolg, aber auch das Suchen nach Einheit. Das gesellschaftliche Kunststück besteht darin, diese beiden Seiten zusammenzubringen“, so Grünewald.
Gleichzeitig sehen die Kritiker der Spiele die Olympischen und Paralympischen Spiele heute kaum mehr als Friedensmission, sondern eher als kommerzielles Spektakel, nicht als gemeinschaftliches Fest, an dem alle teilhaben können, sondern als elitäre Abschottung, nicht als Möglichkeit der Gestaltung unserer Lebenswirklichkeit, sondern als pure Umweltzerstörung.
Dass es uns trotz dieser negativen Entwicklungen gelingen kann, die positiven Wirkungen Olympischer Spiele wieder nutzbar zu machen, hat die Fußball WM 2006 gezeigt. Es gab eine große Vorfreude, aber auch eine große Angst vor einem Erstarken nationalistischer Stimmungen. Am Ende war es eine begeisternde, die Menschen mitreißende Zeit und eine geradezu befreiende Erfahrung, dass der Spagat zwischen Patriotismus und Partyotismus gelungen ist.
Olympische Spiele können genau diese Wirkung haben. Dabei kommt es darauf an, sie nicht als Spektakel zu veranstalten, weniger auf Gigantismus zu setzen, sondern eher auf ein beschwingtes Leistungsfest. Es geht vor allem darum, den Charme einer weltweiten Gemeinschaft in den Vordergrund zu rücken. Olympia braucht eine Synthese aus lustvoller Leidenschaft und fröhlicher Unbeschwertheit.
Expertenrunde diskutiert über mögliche Bewerbung
In der anschließenden, von Wigbert Walter, Referent und Berater der Führungs-Akademie, moderierten Diskussionsrunde setzten sich Léa Krüger, vierfache Deutsche Meisterin im Säbelfechten, Präsidiumsmitglied von Athleten Deutschland e.V. und Mitglied des Aufsichtsrats der NADA, Marion Schöne, CEO der Olympiapark München GmbH und Verantwortliche für die Ausrichtung der European Championships 2022, Torsten Burmester, Vorstandsvorsitzender des DOSB und Malte Siegert, Vorsitzender des Naturschutzbundes Hamburg und 2015 als Leiter der Umweltpolitik des Verbandes maßgeblich an der Olympiabewerbung Hamburgs beteiligt, mit den von Stephan Grünewald skizzierten Chancen einer deutschen Olympiabewerbung auseinander.
So unterschiedlich die Positionen in Einzelfragen auch waren, in einem waren sich alle auf dem Podium einig: Eine Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland im Rahmen der von Stephan Grünewald entwickelten Kernaussagen wäre eine große Chance nicht nur für den Sport, sondern für Deutschland insgesamt. Dabei lagen die Positionen der aktiven Athletin, Léa Krüger und dem Vertreter des NABU, Malte Siegert, weit weniger auseinander, als erwartet. Während Léa Krüger mit Herzblut und mitnehmendem Enthusiasmus den Traum von Olympia auch für diejenigen spürbar machen konnte, die diese Erfahrung nie selbst machen werden, legte Malte Siegert in seinen Ausführungen vor allem das Augenmerk auf die oftmals vorhandene Diskrepanz zwischen optimistischen Ankündigungen zu Nachhaltigkeit, Klimaverträglichkeit oder Flächenverbrauch und den später erreichten realen Ergebnissen. Ein transparentes, tragfähiges, überzeugendes Konzept zu entwickeln, mit dem Nachhaltigkeit, Klimaverträglichkeit und auch Finanzierbarkeit realistisch erreichbar werden, sei eine wesentliche Voraussetzung, um die Menschen auf dem Weg zu Olympischen Spielen mitnehmen zu können.
Hier konnte Marion Schöne mit spürbarer Begeisterung auf den Erfolg der European Championships 2022 hinweisen, eine Veranstaltung, in der es durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen, durch innovative Ideen, einer breit angelegten z.T. auch kostenlosen Teilhabe an Veranstaltungen, einer erfolgreichen Teamarbeit und einer offenen Diskussion gelungen sei, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Großveranstaltung als gemeinsames, Gemeinschaft stärkendes Event wahrgenommen und erlebt werden konnte.
Im Ergebnis war es – so Marion Schöne – nicht nur für die Teilnehmenden eine überaus erfolgreiche Großveranstaltung, sondern auch für die Stadt München die Region und letztendlich auch für den Sport. Ein Mitmachprogramm, das allein über 8500 Kinder und Jugendliche zur Teilnahme animiert und ihnen damit das Gefühl vermittelt, sich als Teil eines Großen und Ganzen zu erleben, zeigt, was Sport für eine Gemeinschaft, für gemeinsames Erleben leisten kann.
Genau dies müsse, so Torsten Burmester, auch das Ziel bei einer möglichen Bewerbung für Olympische Spiele sein. Mit Bezug auf die von Malte Siegert benannten Kriterien von Nachhaltigkeit, Klimaverträglichkeit oder Flächenverbrauch verwies er darauf, dass hier auch im IOC im Vergleich mit früheren Olympischen Spielen einiges in Bewegung geraten sei. Der von Jacqueline Barrett, Direktorin der Future Olympic Games Hosts, in einem Interview formulierte Perspektivwechsel – die Spiele passen sich an den Ausrichter an und nicht der Ausrichter an die Spiele – gebe zukünftigen Organisatoren deutlich größere Gestaltungsmöglichkeiten als in der Vergangenheit. Und dies sei nur eine von einer Reihe an Maßnahmen, wie z.B. die Veränderung des Bewerbungsprozesses oder auch die massive Verringerung der zu veranschlagenden Kosten.
Transparente Kommunikation und offener Austausch mit allen, die sich an dieser Diskussion beteiligen möchten, sei auch von Anfang an Teil des Konzepts des DOSB gewesen und werde jetzt – u.a. auch in den Regionalkonferenzen – konsequent umgesetzt.
Allerdings müsse auch klar sein, dass man mit einer Sportgroßveranstaltung, in der es um weltweite Begegnungen und Austausch um ein globales Miteinander gehe, keinen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten könne. Gleichwohl könne und wolle man Spiele so gestalten, dass ein möglichst hohes Maß an Klimaverträglichkeit erreicht werden könne, z.B. dadurch, dass man auf vorhandene Sportanlagen und vorhandene Infrastruktur baue und auf zusätzliche Neubauten – wo immer möglich – verzichte. Wer auf zwei Olympiastadien zugreifen kann, so Torsten Burmester braucht kein Drittes.
Das wichtigste Kriterium bei einem möglichen Weg zu Olympischen und Paralympischen Spielen in Deutschland sei allerdings, dass es gelinge, die Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen. Und dabei gehe es gerade auch darum, die kritischen Stimmen und diejenigen, für die Sport keinen besonders hohen Stellenwert habe, auf diese Reise mitzunehmen.
Fazit
Die Beiträge im Rahmen der diesjährigen Kölner Sportrede haben gezeigt, dass sich im Sport seit den letzten erfolglosen Versuchen, Olympische Spiele wieder nach Deutschland zu holen, möglicherweise sehr viel mehr verändert hat als das in der Öffentlichkeit bisher wahrgenommen wird. Der Austausch von unterschiedlichen Positionen, das Aufnehmen und Abwägen von Argumenten, die nicht unbedingt mit den eigenen kompatibel sind, das tatsächliche Bemühen auch die mitzunehmen und zu überzeugen, die die Begeisterung für Olympische Spiele (noch) nicht teilen, war jenseits der inhaltlichen Positionen das verbindende und zugleich optimistisch stimmende Gefühl des Abends.
Text: Toni Niewerth, Führungs-Akademie des DOSB e.V.
Fotos: Andrea Bowinkelmann