Mit Glücksteams und SuperKidz-Helden für mehr Inklusion im Handballsport

Mehr Freude und positive Erfahrungen in das Leben von Kindern mit Entwicklungsstörungen und ihren Familien bringen: dies hat sich die Glücksliga, der deutsche Partner der dänischen Handball LykkeLiga, zum obersten Ziel gesetzt. 

 

Die Idee der „LykkeLiga“ (Glücksliga) kommt aus Dänemark, von der ehemaligen dänischen Handball-Nationalspielerin Rikke Nielsen, mit der Intention, positive inklusive Gemeinschaften aufzubauen, in denen sich jedes Kind wie ein Held fühlen kann. Über diverse Programme und Maßnahmen werden Teamgeist und die Fähigkeiten von Kindern mit Entwicklungsstörungen gefördert und grundsätzlich für das Thema Sport und Inklusion sensibilisiert. Kerstin Vieregge, Mitglied des Deutschen Bundestages, Dr. Gerwin-Lutz Reinink, Leiter des Referats für Sport und Inklusion, Integration und Sport und Wissenschaft der Staatskanzlei NRW, Diethelm Krause, Vizepräsident des Landessportbundes NRW und Sebastian Finke, Leiter des Kompetenzzentrums Integration und Inklusion durch Sport des Landessportbundes NRW, konnten sich bei ihrem Besuch des Trainings der SuperKidz vom Handball Bad Salzuflen am 15. Juni 2024 selbst von dem vielfältigen Engagement des Vereins überzeugen.

 

Im Interviewgespräch geben Maria Ravn Jørgensen und Andreas Stolle von der Glücksliga Einblicke in die Genese, Inhalte und Intention der Idee, über den Handballsport einen Beitrag für eine inklusivere Sportlandschaft in Nordrhein-Westfalen zu schaffen.

Interview vom 15.06.2024 in Bad Salzuflen mit Maria Ravn Jørgensen und Andreas Stolle

 

Mal angenommen, da kommt jemand, der noch nie etwas von der Glückliga gehört hat, aber Interesse daran zeigt: Wie würdest du die Initiative kurz und knapp beschreiben? Was steckt hinter der „LykkeLiga“ (Glücksliga)? 

Eine Initiative, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen soll, ohne Rücksicht auf ihr Handicap und einem Erfolgs- und Leistungsdruck in einer Mannschaft Handball zu spielen, sich zu bewegen und in einem Sportverein integriert zu sein. Darüber hinaus einer deutschlandweiten Community anzugehören und somit ein übergreifendes Gefühl von Zusammengehörigkeit und gemeinsamen Zielen zu leben.

 

Kann tatsächlich jedes Kind einfach mitmachen? Warum ist das Handballspiel besonders geeignet? Wie darf man sich das vorstellen

Wir sagen: „Jedes Kind und jeder Jugendliche, der irgendwie einen Ball bewegen kann, ist geeignet für unsere Mannschaften.“ Dabei ist Bewegung mit dem Ball sehr geeignet, das sieht man bereits im Kleinkindalter. Bälle faszinieren einfach. Dazu in einer Mannschaft gleichgesinnte Mitspieler und Mitspielerinnen zu haben gibt noch zusätzlich einen Motivationsanschub.

 

Aus vielen Sportarten kennt man einen Trainingsbetrieb mit festen Zeiten und einen Spielbetrieb mit fixen Terminen und Abläufen an den Spieltagen. Wie müssen wir uns den Trainings- und Spielbetrieb in der Glücksliga vorstellen? 

Je nach Möglichkeiten der einzelnen Vereine sowie Mannschaften finden wöchentlich oder vierzehntägig Trainings zwischen einer und anderthalb Stunden statt. Trainiert wird im Prinzip wie in einer „klassischen“ Mini-Mannschaft oder auch D-Jugend. Derzeit findet einmal im Jahr der Glücksliga Cup statt, hierzu sind alle Teams der Glücksliga eingeladen und hat den Charakter eines Spielfestes. Unser ziel ist es, dass die Kinder und Jugendlichen mindestens einmal im Jahr wie ein echter Handballprofi fühlen können. Etwas, was sie niemals im eigenen Leben erreichen werden.

Darüber hinaus haben wir bereits ein regionales „Test-Turnier“ mit vier Mannschaften durchgeführt.

 

Was bedeutet die Gründung einer Glücksligamannschaft für einen Verein? Was macht die Glücksliga aus?

Im positiven Sinne eine absolute Bereicherung für die Vereinskultur, dazu gibt es ja auch eine gesellschaftliche Verantwortung jeder Organisation in Deutschland. Eine Herausforderung ist es allerdings eine zusätzliche Mannschaft in einen Verein zu integrieren, der schon mit den vorhandenen, zum Teil sehr schwierigen, Rahmenbedingungen klarkommen muss.

Die Glücksliga bzw. der Glücksliga Ballsport e.V. unterstützt die Vereine bei den Herausforderungen, bietet inzwischen einen großen Erfahrungsschatz, führt Menschen zusammen und kümmert sich darum, dass die Initiative weiter an Fahrt aufnimmt.

 

Wie bist du persönlich zu deinem Engagement in der Glücksliga gekommen? Welches waren eure Beweggründe?

Maria: Durch die Initiative in Dänemark und persönliche Kontakte im persönlichen Umfeld. Spaß am Handball und der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Anschließend der Wunsch, in Bad Salzuflen das erste Glücksteam Deutschlands zu eröffnen. Dieser Wunsch wurde dem Vorstand von Handball Bad Salzuflen präsentiert.

 

Andreas: Die sehr emotionale und plausible Präsentation von Maria und ihre Bitte um Unterstützung. Selbst habe ich schon lange nach Möglichkeiten gesucht, der Gesellschaft etwas zurück zu geben.

 

Erzählt uns doch bitte ein wenig aus eurer praktischen Arbeit. Wie wurde eure Trainingsgruppe im Verein angenommen?

Auch im Handball Bad Salzuflen wurde die Initiative erst skeptisch betrachtet. Eben darum, weil die bestehenden Herausforderungen kaum zu stemmen sind. Als Hebel hat sich das Trainerteam herauskristallisiert, welches im großen Teil aus aktiven Handballern und Handballerinnen besteht. Sie haben den positiven Spirit in weitere Mannschaften transportiert und damit für eine Akzeptanz, sowie hier und da zu einer Euphorie geführt.

Im vergangenen Jahr wurde ein Jugendtag durchgeführt, an dem alle Mannschaften teilgenommen haben. So auch die SuperKidz. Es war beeindruckend zu sehen, wie schnell eine Integration stattgefunden hat und die Teilnahme der SuperKidz ein Selbstverständnis, fast eine Normalität war.

 

Warum ist eure Trainingsgruppe so wertvoll für die Familien?

Familien mit beeinträchtigten Kindern oder Jugendlichen sind einem enormen Stress ausgesetzt. Das betrifft sowohl Eltern wie auch Geschwisterkinder. Das Freizeit- bzw. Sportangebot ist äußerst begrenzt. Hier bietet sich nun ein Angebot, was nur Spaß macht, die Gesundheit fördert, den Charakter stärkt und für eine positive Persönlichkeitsentwicklung sorgt und gesellschaftliche Anerkennung besitzt. Davon partizipieren auch die Geschwisterkinder, sie sind stolz auf ihre Geschwister und können auf Wunsch sogar mittrainieren. Zusätzlich finden Eltern andere Elternteile mit ähnlichen „Sorgen“, finden somit Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen und können sich über alle Themen offen austauschen.

Die SuperKidz trainieren Samstagmorgen, somit hat die Familie mittags schon ein Wochenendhighlight erlebt, was für eine tolle Stimmung sorgt und für die ganze Familie förderlich ist.

 

Die Glücksliga hat sich entwickelt und ist nach und nach größer geworden. Was habt ihr persönlich in diesem Prozess gelernt?

Wir sind von dem großen Bedarf überrascht, auch wenn einen das sehr nachdenklich macht. Eine Erfahrung ist auch, dass es viele engagierte Menschen gibt, die sich ebenfalls in oder mit einem Glücksteam beschäftigen wollen. Gelernt haben wir aber auch, dass es für Ehrenamtler und eine nebenberufliche Arbeit fast unmöglich ist, durch den Dschungel an Fördermöglichkeiten durchzusteigen, geschweige denn Mittel zu beantragen und schon gar nicht bewilligt zu bekommen. Wenn es hier nicht die Wirtschaft gäbe, die im ersten Schritt sehr unbürokratisch Unterstützung geleistet hätte, wäre die Initiative bereits nach einem halben Jahr gescheitert.

Positiv zu nennen ist aber auch die zumindest moralische und zum Teil persönliche Unterstützung der „Handball-Familie“. Wo es Möglichkeiten der Einbindung und Präsentation gibt, dürfen wir sie nutzen und mitgestalten.

 

Gibt es Synergien in die Vereine hinein oder besonders positive Impulse und Entwicklungen im Verein seitdem es die Glücksliga gibt?

Wirkliche praktische Synergien sind noch nicht zu sehen, das bedarf einer deutlich längeren Zeit und gemeinsamen Arbeit. Es ist aber auch so, dass es hier und da Anzeichen von Neid gibt, denn es liegt schon zum Teil ein starker Fokus auf die Glücksteams. Von uns ist dieser Fokus so gewollt, denn aus unserer Sicht besteht ein Nachholbedarf und den kann man nur durch Geschwindigkeit, Prägnanz und Sichtbarkeit aufholen. Das sehen natürlich nicht alle Beteiligten in einem Vereinsleben unbedingt genauso.

 

Wenn ein Verein über die Einrichtung einer eigenen inklusiven Trainingsgruppe nachdenkt: Welche Ratschläge könnt ihr interessierten Vereinen aus eurer Erfahrung herausgeben? 

„Skandinavisch anpackend - aber gelassen“ an die Sache herangehen. Man benötigt ein Trainerteam, welches sich langfristig verpflichtet fühlt, die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen durchzuführen. Man benötigt einen Vorstand, der die Initiative mit lebt und für notwendige Rahmenbedingungen sorgt. Man benötigt Empathie aber auch die Fähigkeit andere Mitstreiter zu begeistern und zu aktivieren. Dazu zählen dann auch Förderer und Sponsoren.

 

Wenn ein Verein eine neue Trainingsgruppe gründet: Wie könnte sich dieser ganz konkret der Glücksliga anschließen?

Wir versuchen so lange wie möglich, die Zugehörigkeit zur Glücksliga unentgeltlich zu gestalten, denn wir wollen keine zusätzliche Hürde aufbauen. Wer sich von der Philosophie der Glücksliga angesprochen fühlt und genau das in seinem Verein umsetzen möchte nimmt Kontakt zu uns auf, wir stehen dann mit Rat und Tat zur Umsetzung zur Verfügung und begleiten persönlich und werblich die Installation eines Glücksteams im Verein. Anschließend ist der jeweilige Ansprechpartner des Vereins Mitglied einer Kommunikationsrunde, die sich über alle Themen austauscht, informiert und mit uns vorantreibt. Und das „Glücksteam“ Teil der Glücksliga!

 

Unterstützen die Handballverbände euer Engagement bzw. die Glücksliga? Gibt es schon funktionierende Netzwerke?

Grundsätzlich sind mehr oder weniger alle Handballverbände an einer Zusammenarbeit interessiert. Es gibt eine „moralische“ Unterstützung und punktuelle direkte nichtmonetäre Unterstützungen. Finanzielle Unterstützungen sind ausdrücklich nicht möglich.

Bzgl. Netzwerke sind wir mit einigen Organisationen im Gespräch. Da diese aber meistens auch ehrenamtlich geführt werden, „mahlen die Mühlen naturgemäß sehr langsam“. 

 

Benötigen die Übungsleiterinnen und Übungsleiter eine besondere Qualifikation, um ein Glücksliga-Team zu betreuen? Seid ihr auf weiteres Personal angewiesen, damit der Trainings- und Spielbetrieb klappt?

Nein, um ein Glücksteam zu trainieren sind grundsätzlich keine besonderen Qualifikationen notwendig. Natürlich sind Erfahrungen im Handball oder im Umgang mit Kindern und Jugendlichen vorteilhaft.

Die Sicherung des Trainingsbetriebes bei exorbitant wachsender Anzahl an Spielern und Spielerinnen ist die größte Herausforderung. Dazu kommt, dass derzeit viele junge Trainer und Trainerinnen die Glücksteams trainieren, diese werden zukünftig wegen Ausbildung, Studium, Beruf und Familie anderweitig gefordert sein, wir werden sie ersetzen müssen.

 

Welche Herausforderungen stehen aktuell im Vordergrund?

In Bezug auf unser jährliches Saisonhighlight den Glücksliga Cup am 21. September in der Bielefelder Seidenstickerhalle. Die Teilnehmerzahlen haben sich seit dem Start vor zweieinhalb Jahren jeweils verdoppelt. Wir nutzen den Tag dafür, dass sich viele Menschen mit einem ähnlichen Schicksal und identischen Wünschen treffen und einen unvergesslichen Tag miteinander verbringen können. Darüber hinaus nutzen wir diesen Tag, die positive Sichtbarkeit der Idee bzw. Initiative, aber insbesondere das „ab jetzt vorhandene Glück“ der Kinder- und Jugendlichen mit Einschränkungen deutschlandweit zu transportieren und noch viele Vereine dazu zu animieren, es den bisherigen 26 Vereinen nachzumachen – nämlich ein Glücksteam zu gründen.

 

Wo und wie wünscht ihr euch weitere Unterstützung und Hilfe?

Wenn sich der gesellschaftliche Fokus, auch stärker darauf richtet, Menschen zu unterstützen, die es derzeit nicht so einfach haben im „normalen“ Leben - ist die Grundlage gelegt, dass sich etwas ändert. Eine stärkere Investition in Infrastruktur, beim Handball sind das Sporthallen, Sportplätze und weitere Trainingsmöglichkeiten sowie Trainingsmaterial. Eine größere finanzielle Unterstützung der Vereine für die Bezahlung von Trainer- und Trainerinnen im Bereich der Inklusion und Integration.

 

Welches sind mit Blick auf die Glücksliga eure kurz-, mittel- und langfristigen Ziele? Wie geht es mit der Glücksliga hier in Bad Salzuflen weiter?

Das kurzfristige Ziel ist ganz klar die erfolgreiche Durchführung des Glücksliga Cup am 21.09.24 in Bielefeld. Weiterhin der Aufbau einer tragfähigen Organisation und Finanzierung des Glücksliga Ballsport e.V..

Mittelfristig ist das bereits Erreichte zu sichern, die Konzepte zu verfeinern, die Aktivitäten auszubauen und eine flächendeckende Akzeptanz zu erreichen.

Langfristiges Ziel ist die nachhaltige Sicherung der Aktivitäten, die Animierung weiterer Sportarten und Mithilfe bei der europaweiten Ausbreitung der Initiative.

Deutschland hat bei der Zahl von ca. 4.200 Handballvereinen ein enormes Potenzial. Es ist nicht utopisch, wenn wir hier zukünftig von 250 bis 300 Glücksteams in Deutschland sprechen.

 

Möchtet ihr noch etwas loswerden?

Wir bedanken uns einfach nur für das Interesse und freuen uns über die Möglichkeit, unsere Themen mit Ihnen teilen zu können.

Weitere Information über den Verein Glücksliga Ballsport e. V. und ihre Initiative unter https://gluecksliga.com/.