Aktuellen Studien zufolge sind mehr als die Hälfte aller Menschen mit Behinderungen in Deutschland nicht sportlich aktiv. Während es im organisierten Sport zunehmend entsprechende Angebote von Sportverbänden und Sportvereinen gibt, ist die Situation insbesondere im kommerziellen Fitnessbereich eine andere. Die Bereitschaft der Betreiber:innen ist durchaus vorhanden, doch die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Fitnessstudios gestaltet sich schwierig.
Von März bis Dezember 2021 wurde von der Abteilung Sportwissenschaft der Universität Bielefeld mit finanzieller Unterstützung der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen ein Projekt zum Stand sowie den Möglichkeiten der Inklusion von jungen Menschen mit Behinderungen in Fitnessstudios durchgeführt. Geleitet wurde das Projekt von Prof. Dr. Pamela Wicker und Prof. Dr. Bernd Gröben. Ergebnis: Es gibt Unterstützungs- und Beratungsbedarf, damit diese Angebotsbereitschaft auch ausgeschöpft werden kann und Menschen mit Behinderungen von entsprechenden Angeboten profitieren können.
Auf der Individualebene wurde untersucht, welche Restriktionen Menschen mit Behinderungen vom Training in Fitnessstudios abhalten und wie diese die Zahlungs- und Reisebereitschaft für eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio beeinflussen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Mitgliedschaft ist bei Menschen mit Verlust oder Funktionseinschränkung der Gliedmaßen/des Rumpfes höher. Unwahrscheinlicher ist eine Mitgliedschaft bei Frauen, vorhandener Angst vor Gewalt im Fitnessstudio sowie bei einem Mangel an Zeit und Transportmöglichkeiten. Die durchschnittliche, monatliche Zahlungsbereitschaft liegt bei 23 EUR, die durchschnittliche Reisebereitschaft bei 15 Minuten. Die Ergebnisse verdeutlichen die Relevanz von barrierefreien, öffentlichen Verkehrsmitteln und einer verbesserten Einbindung von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsmarkt. Zusätzlich zeigen sich Ansatzpunkte für Fitnessstudioleitungen z.B. im Hinblick auf reduzierte Beiträge für Menschen mit Behinderungen oder einer Teilfinanzierung beispielsweise durch die öffentliche Hand.
Auf der Organisationsebene werden die Ansatzpunkte zur Verbesserung des Ist-Zustandes von Fitnessstudiobetreiber:innen erkannt. Besondere Qualifikationen der Trainer:innen werden teilweise als wichtig erachtet. Andererseits stelle eine Behinderung eine ähnliche Einschränkung dar wie andere limitierende Faktoren bei Menschen ohne Behinderungen, z.B. Alter oder der allgemeine Fitnesszustand. Damit seien alle Mitarbeitenden auch für eine solche Betreuung von Menschen mit Behinderungen geeignet. Und dennoch bestehen Hemmschwellen und Unsicherheiten, für deren Abbau die Mitarbeitenden sensibilisiert werden müssen.
Fitnessstudios rechnen ihre Kurse u. a. mit Reha-Angeboten mit Krankenkassen ab. Ein Flächentraining auf Verordnung ist jedoch nicht möglich. Daher werden Investitionen von den Studios als notwendig erachtet, vor allem in den Bereichen Personal und Trainingsgeräte. Es bestehen große Zweifel an der Wirtschaftlichkeit, besonders im Niedrigpreissegment. Und Fördermöglichkeiten sind den Betreiber:innen nicht bekannt.
Bei der Infrastruktur der Fitnessstudios zeigen sich große Unterschiede in der Barrierefreiheit. Spezielle Geräte gibt es kaum, Möglichkeiten der Teilnahme werden im Freihantelbereich und in der Anpassung vorhandener Geräte gesehen. Besondere Rücksicht auf Menschen mit geistigen Behinderungen wird nur in einem der sieben befragten Fitnessstudios genommen, indem Geräte nummeriert und auf einem Plan visualisiert sind.
Deutlich wurde beim Bielefelder Projekt, dass die gesellschaftliche Notwendigkeit der Inklusion von Menschen mit Behinderungen erkannt wird und es eine Bereitschaft gibt, auf steigende Nachfrage mit Anpassungen zu reagieren. In Vorleistung wollen die Betreiber:innen der Studios jedoch nicht gehen, das finanzielle Risiko sei zu hoch. Die Initiative müsse daher von Menschen mit Behinderungen oder übergeordneten Institutionen ergriffen werden. Um die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Fitnessstudios voranzutreiben, erscheinen Kooperationen mit Ärztinnen und Ärzten wichtig. Diese sind aber nur schwer umsetzbar. Kooperationen mit Behindertenwerkstätten bestehen kaum und sind in der Vergangenheit an Transportproblemen zum Fitnessstudio gescheitert. Es gibt also noch viel zu tun.
Auf der intermediären Ebene wurden Trainer:innen befragt. Die Selbsteinschätzung hinsichtlich notwendiger Fähigkeiten bei der Betreuung von Menschen mit Behinderungen im Fitnessstudio als auch die Einstellung dazu sind von hoher Relevanz für den Willen von Trainer:innen, Menschen mit Behinderungen beim Training zu unterstützen. Die Analyse der Onlinefragebögen (n=183) zeigt allerdings, dass die Trainer:innen zwar eine positive Einstellung sowie eine hohe Intention aufweisen, sich diese beiden Komponenten jedoch signifikant von der eigenen Selbsteinschätzung hinsichtlich notwendiger Fähigkeiten bei der Betreuung von Menschen mit Behinderungen im Fitnessstudio unterscheiden. Gerade dieser Befund verweist auf die Notwendigkeit, spezifische Angebote für die Vermittlung solcher Fähigkeiten zu entwickeln und anzubieten.